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  • Martin Oswald

“Wir sind das Silicon Valley der Medienbranche”

In New York herrscht Aufbruchstimmung: Junge Medienmarken buhlen um ein junges Publikum. Millionen werden investiert, Millionen von Usern erreicht - doch kaum jemand schreibt schwarze Zahlen. Diese Not macht offenbar erfinderisch, wie ein Besuch bei der Huffington Post, Upworthy, NowThis und anderen Medienbrands zeigt.


Central Park, Januar 2016.

New York etabliert sich als das neue Silicon Valley der Medienbranche. Die Stadt erweist sich als ideale Heimat für junge Journalisten, als Referenz-Labor für junge Zielgruppen und als idealer Test-Case für Business-Modelle. Jährlich werden im Big Apple 7.3 Milliarden Dollar Venture Capital investiert. Ein beachtlicher Teil davon fliesst in die Entwicklung neuer Medienmarken. Huffington Post, Upworthy oder NowThisNews haben sich inzwischen internationale Bekanntheit geschaffen, junge neue Produkte wie .Mic oder Refinery29 nehmen gerade Fahrt auf. Der Druck, Erfolg zu haben und Geld zu verdienen, ist gross. Darum ist es hier besonders spannend, einzublicken, mit welchen Ansätzen und Methoden gearbeitet wird.


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Alle erfolgreichen neuen Medien-Marken haben sich von Anfang an auf ein junges, klar definiertes Zielpublikum fokussiert und versuchen, entsprechend derer Nutzungsgewohnheiten, Use-Cases zu bedienen. Auf der grünen Wiese geplant und entwickelt - ganz ohne die Tradition einer alten Medienmarke und Struktur, fällt es offensichtlich leichter, Millennials mit journalistischen Texten und Videos zu erreichen.


“Erfahrung suchen wir nicht bei Bewerbern, denn das was als nächstes kommt, hat noch nie jemand gemacht” (Refinery29)

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Die Mitarbeitenden dieser neuen Medien-Marken entsprechen selber der Zielgruppe. Durchschnittsalter auf den Redaktionen der Huffington Post, Upworthy, .Mic oder Refinery29 ist circa. 28 Jahre. “Hier müssen wir niemandem erklären, wofür sich junge Leute interessieren.” Und wen stellt ihr ein? “Erfahrung suchen wir nicht bei Bewerbern, denn das was als nächstes kommt, hat noch nie jemand gemacht”, erzählen Redaktionsleiterinnen bei NowThisNews und Refinery29. Gesucht seien Leute mit Neugier und der Fähigkeit, Probleme zu lösen. Angestellt werden in aller Regel Bewerber direkt ab Schule, entweder mit technischem Hintergrund oder mit einer Journalistenausbildung.

Redaktion und Videostudio von NowThis in New York.

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Video ist das Schlagwort der Stunde. “Digital video ist the most important battlefield in the war for attention” (Upworthy). Alle besuchten Firmen entwickeln zurzeit neue Formate. Aber es gibt nicht das eine richtige Format: Für jedes soziale Netzwerk braucht es eigene Produkte mit einer spezifischen Ansprache und oft sogar mit einer eigenen Story, entsprechend den Nutzungsgewohnheiten und dem Vorwissen des Zielpublikums. Beispiel 1: Wird ein Video explizit für Facebook konzipiert, ist quadratisch das richtige Format, da es am besten aussieht. Beispiel 2: Teenager auf Snapchat wissen nicht wer Bin Laden war. Das muss im Video erklärt werden. Auf anderen (älteren) Plattformen nicht.


“Digital video ist the most important battlefield in the war for attention” (Upworthy)

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Der kommerzielle Druck ist hoch. Wer überleben will, muss Geld verdienen. Darum überlässt man den Erfolg nicht dem Zufall. Analytic Teams werten laufend Produkte aus und geben Feedback an die Redaktion. Jede Geschichte wird maximal optimiert. Steigen User nach 5 Sekunden aus einem Video aus, kann das Storytelling nicht stimmen. Also wird es korrigiert, bis es funktioniert.


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Um bestmögliche Rentabilität zu erzielen, scheut man sich nicht, in neue Geschäftsfelder vorzustossen. Viele der jungen Medien-Marken haben Expertise in der Produktion von attraktiven Videos für Social Media. Diese Expertise zieht die Werbeindustrie an. So lassen immer mehr Firmen ihre Marketingvideos von NowThis oder Huffington Post produzieren und distribuieren. Um die journalistische Unabhängigkeit zu wahren, gibt es zwei strickt voneinander getrennte Videoteams für redaktionelle und werberische Inhalte. Interessanterweise ist es zum Beispiel für Shell kein Problem, dass sie im editorialen Bereich in die Pfanne gehauen werden und in der gleichen Spalte ihre werbenden Inhalte platzieren.

Kuschelfaktor 10: Die Büros der Huffington Post in New York.

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Jeder macht was er am besten kann; Der Rest wird über Kooperationen gelöst. So beliefert zum Beispiel NowThis die Huffington Post mit kurzen Videoprodukten, gebrandet. Wer bei der Entwicklung neuer Formate ein halbes Jahr Rückstand hat, ist ohne Kooperation verloren.


Was der User will? Ganz einfach: Genau was ihn interessiert! Genau dort wo er ist! Genau dann wann er es braucht! (Huffington Post)


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Moderatoren sind auch in der neuen Video-Welt wichtig für die Identifikation mit dem Publikum. Diese treten aber als Akteure und nicht mehr klassisch wie im TV als Ansager auf. Beispiel von .Mic mit zwei Hosts: “What happens when a lady manspreads”


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Der Newsletter ist für viele (noch immer) die Nummer 2 unter den Verbreitungsmöglichkeiten — hinter Facebook! Das mag auf den ersten Blick überraschen, aber auch in den USA ist Kommunikation über Email selbst für junge Leute heute noch immer Business-Standard. Und so wird viel Traffic generiert mit täglichen Newslettern, in denen die besten Geschichten des Tages geliefert werden. “In Zeiten von ‘homeless media’ bedeutet ein Newsletter Loyalität und Vertrauen.”


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Einige Redaktionen haben eine klare politische Haltung, die meisten eine absolut liberale. In dieser Haltung produzieren sie auch ihre Geschichten. Gleichberechtigung der Geschlechter, Religionsfreiheit und ökologische Anliegen stehen dabei im Zentrum. Das stosse beim jungen Publikum auf grosses Echo.


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“Apps werden verschwinden!” Für junge Medienunternehmen macht es offensichtlich keinen Sinn, in eine eigene App zu investieren. Die Distribution müsse vor allem über soziale Netzwerke laufen. “We don’t publish to the Web, we publish to social” (NowThis). Die meisten stellen ihren Content nativ auf Drittplattformen und betreiben daneben sehr durchdachte mobile Webseiten als Homebase für alle Inhalte.


Sitzungszimmer haben Namen von Musikalben. Zu Besuch bei .Mic in New York.

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Wer über Social Media spricht, spricht über Facebook. Egal wieviele neue attraktive Plattformen entstehen. Facebook ist für alle Medienmarken die unbestrittene Nummer 1. Daneben laufen zur Zeit intensive Versuche mit Snapchat.


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Sharing und Viralität sind kein Zufall - das schreibt sich Upworthy gross auf die Fahne. User würden keine negativen Geschichten teilen wollen. “Wir fragen uns immer: Macht die Geschichte die Welt besser? Ein Flugzeugabsturz, ein Katzenvideo? Nein. Oberstes Ziel sei es, den Ereignissen einen positiven, überraschenden Dreh zu geben. “Good news and a little surprise” - das sei die Erfolgsformel. Wichtig sei es insbesondere, auf die Mechanismen der Social Plattformen Rücksicht zu nehmen, erfahre ich bei NowThis: “Bei Instagram geben User Herzen. Darum erzählen wir die Geschichten so, dass man sie herzen kann. Beispiel: Bei den Anschlägen in Paris berichten wir nicht über die Bad News — die will niemand liken. Aber die Solidarität mit JeSuisParis funktioniert sehr gut.”


“People don’t share bad news” (Upworthy)

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Innovation findet bei den traditionellen Medienhäusern kaum statt, oder sie tun sich enorm schwer damit, neue erfolgreiche Produkte zu lancieren. Die nach wie vor starken US-TV-Sender verharren immer noch überraschend stark in alten Strukturen. Die Überzeugung ist verbreitet, dass du eine neue Marke brauchst, um bei jungem Publikum eine Chance zu haben.


Dieser Artikel wurde am 29. Januar 2016 veröffentlicht
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