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  • Martin Oswald

Wie wir von der Lügenpresse das Vertrauen des Volkes zurückgewinnen

Der Journalismus steckt in einer Vertrauenskrise. Einst als glaubwürdige Quelle sicherer Information geachtet, kämpfen Verlage heute gegen das schlechte Image und gegen FakeNews. Wie lässt sich das Vertrauen wieder herstellen? Eine Suche nach Rezepten.



Lügenpresse ist ein Lügenbegriff, gegen den Medien dringend Massnahmen ergreifen müssen. Doch sie tragen Mitschuld an der Vertrauenskrise. Viele servieren dem Publikum unverdauliches Fast Food, locken mit reisserischen Schlagzeilen, kopieren statt zu recherchieren und ergreifen intransparent für alles Partei. Gleichzeitig hoffen wir trotz schrumpfender Redaktionen auf steigende digitale Erlöse.


Der Journalismus steckt in einer tiefen Vertrauenskrise




Die Eurobarometer-Umfrage zeigte 2015: 46 Prozent trauen der Presse, 49 Prozent misstrauen ihr. In der Umfrage von 2016 mit 28´000 Teilnehmern sagten 57 Prozent, die Berichterstattung sei politisch beeinflusst. Die Gräben verlaufen zwischen den sozialen Schichten. Besonders misstrauisch gegenüber den Medien sind Arbeitslose, Arbeiter, Hausfrauen und Selbstständige, während Manager, Studenten und Pensionierte weniger skeptisch sind. In der Altersgruppe 25 bis 34 Jahre misstrauen ganze 62 Prozent den Medien.





Noch drastischer ist das Bild in den USA. In den 1970er Jahren lag die Glaubwürdigkeitsrate von Journalisten noch bei 75 Prozent. Mittlerweile ist dieser Wert laut einer Gallup-Studie auf 32 Prozent gefallen.


Die einen glauben an Verschwörung und gezielte Desinformation. Andere wollen in ihrem eigenen Weltbild nicht gestört und lediglich in ihrer eigenen Überzeugung unterstützt werden. Somit betrachten sie alle Medien, die dem nicht nachkommen, als “Lügenpresse”. Jochen Koubek, Professor für Digital Medien kritisiert diesen Ausdruck:


„Lügenpresse ist das falsche Wort: Zum einen unterstellt ‘Lüge’ das bewusste Verstellen einer bekannten Wahrheit, was bei den selektiven Konstruktionen der Medienwirklichkeiten gerade nicht der Fall ist. Zum anderen verweist das Wort ‘Presse’ nicht auf einzelne Beiträge oder Verlage, sondern pauschal auf ein gesamtes System, dem einheitliches Vorgehen zu unterstellen schon ein gehöriges Maß an Unkenntnis über die journalistische Praxis voraussetzt.” (Huffington Post, 2015).

Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen macht allerdings auf ein verzerrtes Bild aufmerksam: „Es gibt eine neue Qualität der Wut in einer Gruppe derjenigen, die die Medien in massiver und besonders aggressiver Art und Weise ablehnen. Das heißt, die Wütenden dominieren sehr stark das öffentliche Bild.“


Früher war nicht alles besser, aber überschaubarer. Die Informationsangebote sind mit der Digitalisierung und mit Social Media ins Unendliche gewachsen. Leser, Hörer oder Zuschauer müssen sich in der Flut selbst orientieren. Das tun sie, indem sie sich aufgrund ihrer Erfahrung an Dingen festhalten, die ihnen entweder ganz entsprechen, oder an solchen, die sie emotional berühren und aufwühlen. Dies machen sich Medien zunutze, in dem sie diese Erwartungshaltung gezielt bedienen und damit Klicks generieren, was wiederum in der digitalen Wertschöpfung Geld bringt. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt das Problem so:


“Schrumpfende Kapitalreserven, das Fehlen eines absehbar tragfähigen digitalen Geschäftsmodells, die sinkende Glaubwürdigkeit und eine Welt, die so komplex geworden ist, dass es schwer ist, sie sachlich zu beschreiben. Da werden dann häufig lieber Emotionen geschürt und bedient.”

Vertrauen als Geschäftsmodell

Nach einem Jahr, in dem sich FakeNews schneller verbreiteten als Tatsachen und #postfaktisch zum internationalen Wort des Jahres gekürt wurde, wird Vertrauen bilden zur kollektiven Herausforderung einer ganzen Branche. Vertrauen allein sichert noch kein kommerzielles Überleben oder steigende Abonnenten-Zahlen. Aber in Absenz dessen, macht keine Bezahlschranke und keine Marketingkampagne längerfristig Sinn. Was macht denn Sinn? Wie können wir Vertrauen aufbauen?


Vier Handlungsempfehlungen für Journalisten und Medienhäuser


1. Transparenz-Offensive

Journalismus ist ein Service an der Gesellschaft und keine Show, die nur vor der Kulisse gut aussehen muss. Zu diesem Service gehört auch, Einblick in die Entstehung zu geben. Die Öffentlichkeit darf wissen, wie wir unsere Themen bestimmen, wie wir recherchieren, unsere Quellen auswählen. Damit nehmen wir die Medienkonsumenten als Partner an der Hand.


Schweizer Radio und Fernsehen hatte im Oktober 2016 Gelegenheit für ein Interview mit dem Syrischen Machthaber Bashar al-Assad. Für das Publikum war es offensichtlich wichtig zu wissen — das zeigten die Reaktionen in den Kommentarspalten — unter welchen Bedingungen sich SRF auf dieses Gespräch eingelassen hatte.


Reporter Sandro Brotz nahm in einem Facebook-Post Stellung zur Kritik, man habe mit diesem Interview lediglich einem Diktator eine Plattform geschaffen.


Wie weit diese Transparenz gehen soll ist eine Frage der Unternehmenskultur. Als positive Beispiele seien hier all die Redaktionen erwähnt, die versuchsweise ihre Themensitzung live übertragen und dabei Vorschläge aus dem Publikum aufnehmen, oder der Transparenz-Blog Glashaus von “Zeit Online”.


Doch es wird nicht reichen, die Transparenz auf gesonderten Plattformen und Kanälen für ein interessiertes Fachpublikum aufzubereiten. Sie muss genauso prominent und sichtbar eingebettet werden, wie die klicksicheren Schlagzeilen selbst. Erklärungen zum redaktionellen Handwerk müssen Teil der Story werden.


Ein zweites Beispiel. Zur Transparenz gehört auch ein offensiver Umgang mit Fehlern. “Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt” war ein vielgelesener und noch mehr geteilter Beitrag der Tamedia-Publikation “Das Magazin”. Darin zeigen zwei Journalisten auf, wie Cambridge Analytica mit der konsequenten Nutzung von Userdaten Sozialer Netzwerke in der Lage waren, psychologisches Targeting von Werbung zu betreiben und so den Wahlkampf von Donald Trump massgeblich zu unterstützen. Der Bericht hatte Sprengkraft, entpuppte sich aber als unpräzise.


Eine Woche später krebsten die beiden Journalisten zurück und veröffentlichten einen Artikel, in dem sie ihre handwerklichen Fehler zu erklären versuchten.


“Beim Erzählen dieser Geschichte haben wir uns zu sehr in Bann schlagen lassen von den unglaublichen Verwicklungen. Beim Versuch, die technischen Elemente verständlich und spannend zu vermitteln, haben wir teilweise überspitzt formuliert. Wir hätten unsere Recherche-Ergebnisse stärker hinterfragen müssen. Dann wären notwendige Relativierungen im Text verblieben.” (Tages Anzeiger, 10. Dezember 2016).

Henrik Stahl, Product Owner von Bonnier News, sagte in einer Diskussion der Slack-Community “Digital Journalism Rocks”, wir Journalisten hätten oft das Gefühl, wir müssten nach aussen ein perfektes Bild abgeben und Unfehlbarkeit beweisen. Dabei trage gerade das Gegenteil dazu bei, Vertrauen aufzubauen.


2. Schluss mit dem Alibi-Dialog

Trotz der mannigfaltigen Möglichkeiten von Social Media und Dialog-Tools auf Webseiten hat sich in den meisten Redaktionen am jahrzehntealten journalistischen Arbeitsablauf nichts geändert. Der Journalist sieht seine Arbeit in dem Moment als erledigt, in dem der Artikel publiziert, oder an den Blattmacher verschickt wird. Dieses Rollenverständnis gilt es aufzubrechen und weiterzuentwickeln.


Ist die Geschichte fertig recherchiert und verfasst, ist die erste von drei Phasen abgeschlossen. Es folgt die Arbeit, diese Geschichte an die Leser zu bringen, durch geschickte Platzierung auf den zur Verfügung stehenden Kanälen. Dann beginnt die dialogische Phase mit dem Publikum — und auch hier braucht es den Journalisten. Es sollte für ihn von Interesse sein, mit seinen Lesern in Austausch zu treten und seine Recherche zu verargumentieren. Für wen sonst hätte er sich die Mühe seiner Arbeit gemacht? Die letzte Disziplin ist noch reichlich grün hinter den Ohren und bei den wenigsten Medienhäusern zu sehen; das Feedback und die Inputs des Publikums bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte weitere Geschichten, die nächste Recherche und Vertiefung. Damit wird Journalismus zum Kreislauf und immer weniger zur Einbahn-Strasse.


Darstellung: Martin Oswald


Wovon wir wegkommen müssen, sind Kommentarspalten, die Leser einladen, ihre Meinung mitzuteilen — bei gleichzeitig maximal ausbleibendem Interesse der Redaktion, diesen Wortmeldungen Aufmerksamkeit zu schenken. Kommentarspalten als Alibi für Dialogbereitschaft sind ein Auslaufmodell.


Die Jugendmarke Vice hat sich im Dezember 2016 entschieden ganz auf Kommentarspalten zu verzichten.


“We don’t have the time or desire to continue monitoring that crap moving forward.”

Ihre Begründung zielt auf die schlechte Qualität der Wortmeldungen, die Diffamierungen und die politische Hetze, die für niemanden Wert schaffe. Damit kapituliert Vice in einem gewissen Sinne vor dem aktiven Teil der eigenen Leserschaft — geht damit gleichzeitig aber einen konsequenteren Weg, als die Medienhäuser, die Kommentare zwar zulassen, aber weder moderieren, noch Inputs aus dem Publikum nutzen.


Das gleiche gilt für Social Media. Die meisten Medienhäuser benennen “Engagement” in ihrer Social-Media-Strategie als wichtiges Ziel, lassen dann aber Kommentare unter den Postings ungelesen oder ohne Nachbearbeitung liegen. Es geht nicht darum, jedem Schreibenden zu antworten. Eine sinnvolle Möglichkeit kann zum Beispiel ein Nachzug über die Meinungen der Leserschaft sein.


Journalistin Joy Mayer legt in ihrem Blogpost dar, wie Leser vertrauen aufbauen, wenn Journalisten mit ihnen in Austausch treten. Fünf Fragen stünden bei diesem Austausch im Zentrum:


  • Sind Journalisten bereit, die Leute dort zu treffen, wo sie sind?

  • Sind sie bereit zu erklären, warum ihre Informationen glaubwürdig sind?

  • Sind Journalisten bereit zuzuhören?

  • Sind sie bereit, sich beim gemeinsamen Lernen und Diskutieren zu engagieren?

  • Können sie dazu stehen, was sie nicht wissen?

“The Information” geht einen neuartigen Weg mit einem Slack-Channel für ihre Abonnenten, wo diese mit der Redaktion diskutieren können.


Und wer betreut diese Kanäle? In den meisten Redaktionen findet sich jemand, der für diesen Publikumsdialog besonders viel Herzblut und Zeit investiert. Das ist gut, aber keine nachhaltige Strategie. Dialog mit dem Publikum muss zum selbstverständlichen Teil der bezahlten Arbeitszeit werden und nicht den besonders Engagierten in der Freizeit überlassen sein.


3. Das Publikum kennen und verstehen

Webseiten werden für den DAU programmiert und designed; für den “dümmsten anzunehmenden User”. Diese Begrifflichkeit steht sinnbildlich für die Distanz zwischen Medium und Publikum, die durch die Digitalisierung noch grösser geworden ist. Wer genau sind unsere Artikel-Leser, unsere Fernseh-Zuschauer, unsere Radio-Hörerinnen? Kennen wir ihre Bedürfnisse, ihre Fragen, ihre präferierte Art, Hintergründe zu erfahren, ihre Gewohnheiten im Alltag, mit unseren Erzeugnissen umzugehen?


Die überwiegende Mehrheit der Journalisten verrichtet ihre Arbeit konsequent hinter dem Bildschirm sitzend. Und distanziert sich damit Schritt für Schritt vom einzigen Grund ihrer beruflichen Daseinsberechtigung. Der Gesellschaft, dieser sie dienen.


Wir Journalisten müssen wieder raus aus dem komfortablen Büro, hinaus zur Bevölkerung, um den Kompass für die eigene Arbeit zu richten. Branchenvordenker und Journalismus-Professor Jeff Jarvis sagt es so:


“Nimm einen Journalisten, einen Programmierer und einen Designer. Dann schicke sie raus zu den Leuten. Sie sollen ganz gewöhnliche Arbeiter, Hausfrauen, Jugendliche treffen — und dann: einfach zuhören!”

Doris Truong von der Washington Post schlägt mit ihrem Statement in die gleiche Kerbe:


“We need journalists who can connect with readers in the heartland, not just because they are empathetic reporters but because they understand what it’s like to live and work there.”

Lina Timm vom Media Lab Bayern geht noch einen Schritt weiter und plädiert dafür, den Leuten nicht bloss zuzuhören, sondern sie zum Teil des journalistischen Prozesses zu machen, ihr Wissen und ihre Meinung schon zu Beginn der Recherchearbeit abzuholen. “Sie werden damit zu Ambassadoren des Mediums und werden mithelfen, die journalistische Arbeit in Diskussionen zu verargumentieren!”


4. Rollenfindung: Wofür stehen wir?

95 Prozent der amerikanischen Medien bezogen im Präsidentschaftsrennen 2016 klare Stellung für die Demokratin Hillary Clinton und gegen den inzwischen gewählten Donald Trump. Eine überwiegende Mehrheit deutscher Medien positionierte sich beim Thema Flüchtlinge zu Beginn entlang der Haltung von Kanzlerin Merkel und proklamierte Willkommenskultur. Ist das richtig? Ist es Aufgabe des Journalismus, Position zu beziehen? Oder ist es vielmehr Aufgabe des Journalismus, Einordnung zu liefern, verschiedene Ansichten darzustellen und damit dem Leser zu ermöglichen, sich eine eigene Meinung zu bilden?


Nach der Wahl von Donald Trump sind diese Fragen aufgebrandet. Zu viele Fehler musste man sich auf Medienseite eingestehen. Fehler in einer objektiven und vorurteilsfreien Berichterstattung. Ein Beispiel. Zahlreiche Medien haben eine Aussage von Donald Trump wie folgt zitiert: “Donald Trump: Millionen Stimmen sind ungültig”. Damit wird unjournalistisch eine nicht belegte Aussage wiedergegeben und verbreitet. Ganz anders liest sich: “Donald Trump behauptet ohne Quellenangabe, Millionen Stimmen seien ungültig”. Medien erliegen täglich der Versuchung, Zitate aus Sozialen Medien wiederzugeben, ohne sie journalistisch zu prüfen oder einzuordnen. Dieser Reflex schadet dem Vertrauen massgeblich.




Für Kritik sorgen regelmässig die journalistischen Erzeugnisse bei Attentaten, wie beispielsweise zuletzt am Weihnachtsmarkt in Berlin. Ein Journalist der Berliner Morgenpost startete Sekunden nach dem Vorfall einen Facebook-Livestream, zeigte Todesopfer und Verletzte. Der Kollege vom Spiegel titelt auf seinem persönlichen Twitter-Account bereits kriegerisch “Berlin under Attack”. Die Bild-Zeitung vom nächsten Morgen zielte mit ihrem Titel auf die erstbeste Emotion (links), um diese zu verstärken, während die Morgenpost (rechts) versuchte den Faux-Pas des Vortages wieder gut zu machen.




Die Gegenthese tritt am Abend des Berlin-Attentats das ZDF an, welches sich nicht zu vorschnellen Schlüssen verleiten liess, sondern sich die Zeit nahm, an gesicherte Informationen zu gelangen. Ein zunehmend etabliertes Format nennt sich “Was wir wissen und was wir nicht wissen”, welches von verschiedenen Medienhäusern im Umgang mit Breaking-News verwendet, und mitunter falsch eingesetzt wird. “Die Zeit” hat im Artikel "Wie unser was wir wissen entsteht" beschrieben, wie bei der Faktenprüfung vorgegangen wird.


Der schwedische Historiker Johan Norberg plädiert für mehr Einordnung und liefert in seiner Beobachtung der Medien ein Beispiel:


„Mordraten in Europa haben sich seit 1990 halbiert, doch irgendwo ist immer ein Serienkiller unterwegs. Über ihn wird auf der Frontseite berichtet. So entsteht der Eindruck, die Welt stehe in Flammen.“

Mit Moralin und Revolverschlagzeilen macht man Klicks, baut aber weder Vertrauen noch Glaubwürdigkeit auf. Langsam und behutsam sein braucht heute Mut.


Wir haben bei Schweizer Radio SRF oftmals mit dem Verkünden von Ereignissen zugewartet, bis zwei unabhängige und glaubhafte Quellen Bestätigung lieferten. Das brauchte mitunter Nerven, wenn es bereits Pushmeldungen und Tweets regnete. Aber diese Haltung zahlt sich aus. So wird SRF und das Radio-Flugschiff “Echo der Zeit” seit Jahren als qualitativ hochstehend und glaubwürdig beurteilt.


Die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ereignisse machen eine Debatte über die eigene Haltung und die Rolle des Journalisten unumgänglich. Meinungsartikel sind eine wichtige journalistische Form, sie will aber auch so deklariert und ausgeschildert sein.


Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo gestand inzwischen selbstkritisch ein, zu Beginn der Flüchtlingskrise zu einseitig berichtet zu haben. Das Publikum hat es bemerkt: Die Berichterstattung zur Flüchtlingskrise werten viele Medienkonsumenten als Bevormundung mit erzieherischem Anspruch.


Diesem Trend gilt es entschlossen entgegenzutreten. Mit nüchternem Blick, freiem Geist und präziser Genauigkeit.


Das Fazit

Viele der oben erwähnten Punkte mögen wenig überraschend, die Lösungsvorschläge offensichtlich sein. Trotzdem wird das Wenigste in der Praxis gelebt und umgesetzt. Warum?


Mit Blick auf meinen eigenen Alltag als Leiter Content bei SRF Online stelle ich folgende Hindernisse fest: Wir produzieren zu viele Inhalte und nehmen uns zu wenig Zeit, in die Qualität der einzelnen Geschichte zu investieren. Wir sind in den Sozialen Medien breit aufgestellt und äusserst aktiv, der daraus resultierende Dialog bleibt aber aufgrund der knappen Zeit und Ressourcen meist ungenutzt. Die allermeisten Positiv-Beispiele, bei denen Redakteure und Moderatoren über ihre Arbeit sprechen, Recherchen erklären, mit dem Publikum diskutieren, oder Anschuldigungen kontern, beruhen auf ihrer Eigeninitiative und passieren in der Freizeit. Es geht also im Wesentlichen um eine neue Sichtweise von Journalismus, die neue Rolle des Journalisten und um eine Anerkennung der Wichtigkeit von Transparenz und Dialog als Teil der Arbeit.


Grundlage bleibt das Vertrauen. Für Dr. Kees Brants (Autor von “Rethinking Journalism”) beruht dieses im Journalismus auf drei zentralen Werten:


  • Verlässlichkeit (Integrität und Ehrlichkeit)

  • Glaubwürdigkeit (Journalistische Standards)

  • Empfänglichkeit (für die Bedürfnisse der Öffentlichkeit)

Unsere Branche zelebriert hektische Rastlosigkeit um im reissenden Fluss von Geschichten, Memes, Tweets und Selfies mithalten zu können. Fundierte Recherchen und die Reflexion über die eigene Arbeit kommen zu kurz. Da die meisten Redaktionen aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, Ressourcen zu streichen, gibt es nur einen Weg um Freiraum für diese journalistischen Tugenden zu schaffen: Weniger ist mehr. Weniger Webartikel raushauen, weniger Zeitungsseiten drucken, weniger Sendeminuten füllen. Weniger Kurzfutter und Verlautbarungs-Journalismus, mehr Hintergrund und Analyse. Auch um Zeit für den Dialog mit dem Publikum zu schaffen.


Selbstverständlich braucht es zeitgemässe Storytelling-Formate, ein konsequentes Ausrichten des Angebots auf Mobile First, mehr Kreativität in der Herangehensweise. Und ja; Medienkompetenz, wo Kinder den Unterschied zwischen News und FakeNews lernen, gehört dringend prominenter in den Schulunterricht. Aber ohne das Vertrauen unseres Publikums in unsere Geschichten und ohne unser eigenes Vertrauen in unsere journalistischen Werte und unser Handwerk, brauchen wir uns darüber auch keine Gedanken zu machen.

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