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  • Martin Oswald

Wie wir mit 5 Experimenten versuchen, den Lokaljournalismus digitaler zu machen.

Tagblatt.ch erreicht jede Woche 250'000 User im Netz. 9 von 10 Online-Geschichten sind Übernahmen aus dem Print und werden von den Journalisten mit Links, Bildern oder einem anderen Titel für Online adaptiert. Damit ist klar: Wie bieten unseren Leserinnen und Lesern auf unseren digitalen Kanälen noch kein optimales, multimediales Storytelling. Die Redaktion arbeitet konvergent, aber die Sach- und Strukturzwänge erschweren eine konsequente Ausrichtung auf das Digitale. Im Sommer 2018 haben wir eine Paid-Content-Strategie eingeführt. So kostet die Nutzung unseres digitalen Angebots 14.50 Franken im Monat. Wir wollen damit neue, jüngere Zielgruppen erreichen.

Tagblatt-Videojournalist Raphael Rohner.

Der Onlineredaktion kommt hier eine entscheidende Rolle zu. So muss sie nicht nur multimediale Geschichten für eine anspruchsvolle Leserschaft produzieren, sondern mit kreativen Ideen und neuen Herangehensweisen den internen Kulturwandel unterstützen.


Beim St.Galler Tagblatt versuchen wir das zurzeit mit fünf Experimenten:

  • WhatsApp-Service für Fussball-Fans

  • Live-Ticker mit News aus der Stadt

  • Themen- und Eventserie “next now — Zukunft im Kontext”

  • Exklusive Nähe dank Live-Journalismus

  • Mit Instagram Stories jüngere Leserinnen und Leser erreichen

WhatsApp-Service für Fussball-Fans

These

Viele Fussball-Fans haben unsere App nicht und würden sie auch nicht herunterladen. So können sie auch unsere spezifischen Pushnachrichten zum FC St.Gallen nicht erhalten. Wir erreichen sie nur mit einem spezifischen Angebot auf einem Kanal, der stark verankert ist.



Experiment

Wir bieten per WhatsApp alle News, Transfergerüchte, Spielanalysen und Interviews für den Fan des FC St.Gallen an. Dazu nutzen wir die Plattform «Messenger People», welche die Registration der User automatisiert und uns gleichzeitig ermöglicht jedem einzelnen User zu antworten. Wir versuchen die wichtigsten Informationen bereits mit der WhatsApp-Nachricht zu übermitteln, platzieren aber stets einen Link auf vertiefende und weiterführende Geschichten auf unserer Webseite. Das Ziel: Der User soll bereits mit der WhatsApp-Nachricht zufrieden sein, aber zur Nutzung unseres Online-Angebots animiert werden.


Erfahrungen

Als Zielgrösse haben wir für dieses Experiment 1000 User vom Start am 1.1.2019 bis Ende Rückrunde im Mai definiert. Bereits nach drei Wochen hatten wir dieses Ziel erreicht. Inzwischen haben knapp 2000 User den Service abonniert. Besonders positiv gestaltet sich die Click-Through-Rate auf die Artikellinks, welche wir mit den News verschicken. Diese liegt zwischen 20 und 60 Prozent. So ist eine WhatsApp-Nachricht an 2000 Abonnenten in Bezug auf den Webtraffic wesentlich effektiver, als eine App-Pushnachricht an 20'000 Empfänger.


Interessant ist auch, dass uns zahlreiche User zurückschreiben, sich für die News bedanken, ihre Meinung zu den Spielen mit uns teilen oder einfach mal Hallo sagen. Selbstverständlich versuchen wir jedem User zu antworten — schliesslich ist dieser Whatsapp-Service ein wichtiger Eckpfeiler unserer Community- und Dialog-Strategie.


Wie weiter

Wir wollen bis Ende Jahr 3000 Abonnenten gewinnen und planen darum verschiedene analoge und digitale Marketingmassnahmen. Mittelfristig suchen wir Möglichkeiten zur Finanzierung dieses Services. Zum Beispiel durch Werbepartner oder Sponsoren. Da wir aber keine Werbung verschicken wollen, müssen wir alternative Formen prüfen.

Update: Der Dienst musste 2019 aufgrund einer Änderung der AGB von Whatsapp eingestellt werden.

Live-Ticker mit News aus der Stadt


These

Die Leser interessieren sich im Web für fast alles, was in ihrem unmittelbaren Lebensraum passiert — kleine wie grosse Geschichten, News und Veranstaltungen, das Wetter und Unfälle. Im Print adressieren wir dieses Bedürfnis mit kleinen Meldungen und Einspaltern. Online bieten wir nichts Vergleichbares. Ein permanenter Stadt-Ticker könnte dafür die Lösung sein.


Experiment

Die St.Galler Stadtredaktion hat sich dieser Idee angenommen und zehn Tage lang einen Stadt-Ticker produziert. Darin fanden sowohl die grossen und wichtigen Geschichten aber auch Verkehrsmeldungen, Veranstaltungen und kleine Randnotizen aus dem Stadtleben statt. Zu den Randzeiten am frühen Morgen, am Abend und am Wochenende hat die Onlineredaktion den Ticker betreut.


Erfahrungen

Die User haben den Stadt-Ticker aktiv genutzt. 22'000 Visits in 10 Tagen haben unsere Erwartungen übertroffen. Mit einem Voting und einer Umfrage bei Facebook und Twitter wollten wir die Meinung der User hören — und die war grösstenteils sehr positiv. Grund genug für uns, die Strukturen anzupassen und diesen Ticker dauerhaft einzuführen. Seit Mitte Februar bieten wir den Stadtmenschen nun rund um die Uhr News und Informationen in dieser neuen Form.


Wie weiter

Demnächst werden wir auch für den Kanton Thurgau ein ähnliches Ticker-Format testen. Wir sind davon überzeugt, dass es im Lokalen Bedürfnisse gibt, wozu das klassische Publizieren von verschiedenen und ungebündelten Artikeln nicht ausreicht. Der Stadt-Ticker ist ein genuin von und für Online gedachtes Format. Die konkreten Inhalte und die Aufbereitung im Ticker werden wir permanent überprüfen und justieren.


Themen- und Eventserie “next now — Zukunft im Kontext”



These

Digitalisierung ist für viele Menschen ein abstraktes Thema. Es braucht neue Formen der Themenvermittlung und Erlebnisse, damit man sich ein konkretes Bild davon machen kann, wo das Digitale im eigenen Leben relevant wird.


Experiment

Das St.Galler Tagblatt und das Innovationszentrum Startfeld haben im Herbst 2018 eine Themenserie unter dem Titel “next now” ins Leben gerufen. Wir behandeln im Abstand von rund 6 Wochen ein digitales Thema im Print und Online und laden dann interessierte Leserinnen und Leser zu einer Veranstaltung ein, bei der sie Informationen aus erster Hand bekommen und sich mit Experten austauschen können.


Die Themen: Schutz der Privatsphäre im Netz, Shopping wird digital, e-mobility, e-health.


Erfahrungen

Themen gibt es viele. Und wir waren überrascht festzustellen, wie viele lokale Unternehmen und Startups an innovativen Lösungen arbeiten. Einige dieser Firmen haben wir bei unseren Events eingebunden und bieten ihnen so eine Plattform, sich zu präsentieren. Die Organisation und die Bewerbung einer komplett neuen Veranstaltungsreihe ist eine Herausforderung. So ist das Feedback der Teilnehmer durchwegs positiv, doch erreichen wir damit genug Leser und entsprechend Wirkung?


Wie weiter

Wir ziehen im Sommer nach der fünften Veranstaltung ein Fazit und entscheiden dann über das weitere Vorgehen.

Update: Aufwand und Ertrag hielten sich nicht die Waage, die Themenserie wurde nicht weitergeführt.

Exklusive Nähe dank Live-Journalismus

These

«Gerade jetzt passiert etwas und ich kann live dabei sein.» — Wenig im Lokaljournalismus hat eine so grosse Anziehungskraft und wir können hier mit multimedialem Journalismus den Lesern exklusiven Zugang bieten.


Experiment

Wir starteten eine Live-Offensive und suchen gezielt Anlässe und Themen, bei denen wir live für unsere Leserinnen und User berichten können. Nebst den klassischen Pflichtveranstaltungen versuchen wir uns an: Gerichtsverhandlungen, Landsgemeinde, Fussball-Pressekonferenz, Fasnachtsbeginn (Fasching), Kinderfestumzug, Alpabfahrt (Eine Bauernfamilie mit ihren Kühen auf dem Weg vom Berg hinunter ins Tal begleiten). Auch von der Versammlung der Hasenzüchter wollen wir in diesem Jahr live berichten. Ob das interessiert, wissen wir nicht. Genau darum probieren wir es aus. Experimentieren — messen — lernen.


Erfahrungen

Je wichtiger ein Thema für eine grosse Anzahl Menschen ist, desto grösser der Webtraffic. Soweit keine neue Erkenntnis. Interessant war es aber für uns herauszufinden, dass neben der Livenutzung vor allem die On-Demand-Nutzung (später) gross ist. So berichteten wir zwar live über den Umzug des St.Galler Kinderfests, doch der grösste Teil der Nutzung fand im Verlauf der nächsten drei Tage statt.


Wie weiter

Diese Live-Präsenz ist wichtig für unser Image in der Region. Wenn etwas die Ostschweiz bewegt, dann sind wir dabei. Dieses User-Versprechen wollen wir so häufig wie möglich einlösen. Dazu braucht es in der Redaktion entsprechende Skills fürs Livetickern (zuhören und gleichzeitig schreiben) und für Produktion von Videos. Das müssen wir Schritt für Schritt ausbauen.




Mit Instagram Stories jüngere Menschen erreichen

These

Bei Instagram können wir eine jüngere Zielgruppe mit unserer Marke und unseren Themen erreichen. Eine Zielgruppe, die unser Zeitung nicht liest und auch unser Webangebot nur selten streift.


Experiment

Die Basis bei Instagram legen wir mit attraktiven Foto-Posts mit Bildern aus der Ostschweiz. Einerseits von unseren Tagblatt-Fotografen, andererseits von Hobbyfotografen aus der Region. Dazu testen wir verschiedene Story-Formen, um unsere besten Geschichten zu präsentieren. Hier einige Screenshots.


Da unser Account noch nicht verifiziert ist, können wir keine Links auf unsere Artikel setzen. Der Satz «Jetzt auf Tagblatt.ch» ist somit ein schwacher Versuch, User zu einem Besuch auf unserer Webseite zu animieren.


Erfahrungen

Jeder vierte Instagram-Follower schaut sich unsere Stories an. Ein guter Wert, so scheint uns. So waren beispielsweise 700 User bei einer grossen Katastrophenübung auf dem Flugplatz Altenrhein via Insta-Story dabei.



Positiv fällt das Zwischenfazit in Bezug auf die avisierte Zielgruppe aus. Wir erreichen überproportional viele User zwischen 25 und 44 Jahren, was für die Positionierung unseres digitalen Angebots absolut passend ist.


Wie weiter

Hier geht noch mehr. Eine Herausforderung ist, das adäquate Storytelling und die grafische Aufbereitung für die Stories in die redaktionellen Abläufe zu integrieren. Letztlich ist Instagram einer von zehn Ausspielkanälen und damit eine zusätzliche Anforderung. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir unseren Journalismus auf diesen Plattformen erlebbar machen müssen und damit neue Leserinnen und Leser erreichen. Zudem wünsche ich mir mittelfristig mehr Journalisten, die mit Stories von ihrer Arbeit und ihren Reportagen berichten.



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